Das Stück

 

                               

MUTTERHABENSEIN

und denk. sie lebt und siehet dich

ein biographisches Vexierspiel

von Carola v. Seckendorff

Kurzbeschreibung

5 Schauspielerinnen nähern sich in einem Lokal oder einem Café unter den Zuschauer_innen den Lebensgeschichten ihrer Mütter, ihrer Kinder und sich selbst. Sie suchen nach Lebenslinien, Mustern, Parallelen und Abdrücken von Zeitläuften in ihrem Leben. Sie lassen hautnah den Zuschauer Einblick nehmen in die Herzkammern der Mütter unserer Zeit, die den Auftrag mitbekommen haben und auch den sehnlichsten Wunsch neben der Erziehung ihrer allseits vernetzten Kinder zu selbstbewußten, abiturfähigen G8 Stürmern, eine berufliche, möglichst erfüllende, in ihrem Fall auch noch künstlerische Karriere zu stemmen, die dazu auch noch ernähren muß. Theatral und trotzdem auf Augenhöhe mit ihrem Publikum begeben sie sich auf einen Parforceritt der Überforderung und der absoluten Erfüllung.

Worum geht es?

Heute sind die Rollen nicht mehr so klar verteilt wie damals, als unsere Mütter so alt waren wie wir. Wir stellen fest, dass die heutige Zeit uns vielfache Möglichkeiten der Entfaltung bietet, aber uns dadurch auch permanent überfordert und infrage stellt. Wir sind nicht nur Mütter und Hausfrauen, sondern wollen und müssen auch arbeiten, um das finanzielle Auskommen der Familie zu sichern, aber trotzdem sind wir in der Pflicht auch den Alltag, das Familienleben zu organisieren und lebendig zu gestalten. Unseren Kinder soll der Weg zu selbstständigen, möglichst hochschulfähigen Wesen geebnet werden in einer zunehmend medialisierten, globalisierten Welt, unsere Ehen wollen wir frisch erhalten, unsere Eltern im Alter liebevoll begleiten und noch dazu wollen wir uns selbst verwirklichen. Kann das gelingen? Das ist eine der grundlegenden Fragen, die uns während der Arbeit begleitet haben.

Ausgehend von unseren heutigen Lebensfragen haben wir versucht Bögen zu schlagen zu der Lebenswirklichkeit unserer Mütter, die alle in den Krieg hinein geboren wurden, deren Mütter wiederum allein versuchen mussten die Familie zu ernähren und aufrecht zu erhalten, da ihre Männer im Krieg waren. In den Interviews mit ihnen haben wir versucht herauszufinden wie sie ihr Leben gemeistert haben, welche Träume und Wünsche auf der Strecke geblieben sind und mit was für einem Fazit sie auf ihr Leben zurückblicken.

Hernach und während der Arbeit spüren wir, dass wir den Auftrag heute haben alles, mit den mannigfaltigen Chancen, die sich heute bieten, besser zu machen und sehen uns damit grenzenlos überfordert, aber auch zutiefst beglückt. Wir beobachten an uns selbst, wie wir versuchen vieles anders zu machen als unsere Mütter, aber erkennen auch Muster und Wiederholungen an denen wir uns abarbeiten, verzweifeln, aber auch ungeheuer wachsen.

All diese Themen tauchten in vielfältiger Gestalt in den zum Teil stundenlangen Interviews mit den Müttern, den Schauspielerinnen und den Kindern auf. Im Vorfeld hat die Regisseurin Carola v. Seckendorff versucht Schwerpunkte herauszufiltern, parallele Themenbereiche und Muster aufzuspüren. Wichtig war dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, dass das Ergebnis nicht die Nabelschau von 5 Schauspielerinnen sein sollte, sondern eine Art kollektive Frauenbiographie in der sich die Zuschauer_innen wieder erkennen können und einen Anreiz finden, sich ebenso forschend, liebevoll interessiert mit der eigenen Geschichte, den eigenen Müttern und Kindern zu beschäftigen und genau hinzuschauen.

Damit das gelingen kann haben wir in der Probenarbeit die Geschichten und Texte von den ursprünglichen Urheberinnen gelöst, getauscht, verschachtelt in szenische, z. T. sogar choreographische Zusammenhänge gesetzt. Das Ergebnis ist ein vielstimmiger SchauspielerinnenFrauenMutterkörper der durch die unterschiedlichen Zeiten, Geschichten und Biographien mäandert und bei uns selbst und in den Herzen der Zuschauer_innen wieder ankommt.

Es spielen

Cornelia Kupferschmid, Carolin Wirth, Johanna Kollet, Christiane Hagedorn, Ulrike Rehbein

Regie: Carola v. Seckendorff

Dramaturgische Beratung: Joachim Henn

Sound: Ralf Haarmann

Choreographie: Tom Bünger

Regieassistenz und Videodokumentation: Jens Krause

Abendspielleitung: Carola Layda

Textfassung, Fotografie und Redaktion:

Carola v. Seckendorff

Website: www.mutterhabensein.de

Gefördert durch:

KaMs1

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              Die „Westfälischen Nachrichten“ schreiben:

 WN Kritik*****

Westfälische Nachrichten, Rheine

Zu meiner Zeit gab es noch keine Pubertät“

Ein interessantes Theaterexperiment über Mütter und Töchter im Kloster Bentlage

RHEINE „Mutterhabensein“ am Donnerstag im High Tea Café von Kloster Bentlage auf Einladung des künstlerischen Leiters Jan-Christoph Tonigs war eine ebenso kommödiantische wie realistische Lehrstunde für Mütter und solche, die es werden wollen. Fünf Vollblutschauspielerinnen aus Münster ließen ein großes Publikum mitfiebern, mitfühlen, mitlachen. Unter der Regie von Carola v. Seckendorff zelebrierten Cornelia Kupferschmid, Carolin Wirth, Ulrike Rehbein, Johanna Kollet und Christiane Hagedorn ihre Mutter-Tochter-Rolle in unnachahmlicher Weise. Nichts blieb ungesagt!

Als ich mit dem Kind nach der Geburt nach Hause kam, dachte ich: Und das ist jetzt immer da? Ich hab geheult als mein Mann morgens zur Arbeit ging und gerufen: Nimm’s mit! Mutter zu werden, das war der Moment erwachsen zu werden, ein heftiger Schritt in die Verantwortung.“ Die Akteure saßen im Publikum verteilt und sprachen lebhaft mit den Gästen um sie herum.

Mit brillanter Beobachtungsgabe zeigt das Theaterstück auf, wieviele Gedanken sich junge Mütter plötzlich über die eigene Mutter und deren Empfindungen machen . „Ich bin nicht darauf vorbereitet Kinder zu erziehen, muß mich doch erstmal selbst erziehen.“ – „Zu meiner Zeit gab es noch keine Pubertät“, erzählt eine andere junge Frau und spielt die Mutter mit einem Zitat über Band ein: „Du warst so pflegeleicht, deine Pubertät haben wir gar nicht bemerkt.“ Nachdenklich blicken sie zurück in die Kriegs- und Nachkriegszeit ihrer Großeltern. „War jemand in eurer Familie Nazi?“ fragen sie provokativ. „Mein Opa war auch im Krieg. Jedes Mal, wenn er auf Heimurlaub war, wurde meine Oma schwanger.“ „Als mein Opa starb, hatte meine Oma ihre Anleitung für ihr Leben verloren.“

Bei ihren Erinnerungen an Jugendzeiten der Eltern lassen sie ihre Becken kreisen und kreischen zu den Klängen der Beatles. „1965 waren alle verheiratet oder allein zu Hause.“, ziehen sie ein Resümee der damaligen Zeit und erzählen sich im schönsten Schwabendialekt, wie die Eltern sich über die „Arschbäckle“ bei der Schwulenparade aufgeregt hätten.

Es ist die besondere Art von Schauspiel, exzellenter Sprachwirkung und Spontanität, die das Theaterstück lebendig macht und die Zuschauer zu Beteiligten. Die Schauspieler fordern nichts, sie reißen mit, lassen ihr Publikum teilhaben an ihren Gedanken, wie sie zu genialen Eltern, aber auch zu liebevollen Kindern ihrer Eltern werden können.

Das köstlichste Vergnügen des Abends war die Schwangerschaft mit der anschließenden Geburt der fünf Frauen. Ihr Bäuchlein hatten sie selbst mit einem Luftballon kreiert und gingen miteinander auf Kuschelkurs, bis die Blase platzte. Die Schauspielerinnen werfen sich unter Wehen ins Publikum und ließen sich von ihren Gästen beruhigen und festhalten. Erst als sie nach Hause kamen, war der Zirkus Schwangerschaft vorbei, und das reale Leben mit Kind begann.

Für mich solls rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen“, verklang ihre Illusion in der Realität des Lebens mit dem unvergessenen Song der Knef. Ein Abend, der im Gedächtnis bleibt! Die Begeisterung mit stehenden Ovationen beruhte auf Gegenseitigkeit. „Wir hatten eine superschöne Vorstellung“, bedankten sich die Akteure am Ende.

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Dülmener Zeitung, 14. Mai 2018
von Claudia Marcy

Eine Bühne brauchen und wollen sie nicht, die fünf Schauspielerinnen des Ensembles FreiFrau. Also suchten sie sich einen Platz unter den (überwiegend weiblichen) Theaterbesuchern, die am Freitagabend der Einladung des städtischen Kulturteams, der Gleichstellungsbeauftragten und der Volkshochschule gefolgt waren. Nicht zu vergessen den Hausherrn Hermann Grote, der sein Café unter den Arkaden für diesen ungewöhnlichen Abend zur Verfügung gestellt hatte.

Theater also im Café. Und damit an, auf, neben und zwischen den Tischen, in engem Kontakt zum Publikum. „Mutterhabensein“ heißt das Stück, in dem die Schauspielerinnen ihre eigene Geschichte erzählen. Die auch die Geschichte ihrer Mütter und Großmütter ist. Menschen, von denen sie geprägt sind, von denen sie sich abgrenzen, deren Fehler in der Beziehung zum Ehemann und Kindern sie nicht wiederholen möchten und es manchmal eben doch tun.

Die Dialoge sind kurz und temperamentvoll. Die Sätze fliegen wie die Pingpongbälle durch die Luft, quer durchs Café von einem zum nächsten und übernächsten Tisch. Auf ihren Plätzen hält es die Frauen nicht lange. Sie springen auf, düsen durch den Raum, manchmal tanzen sie zusammen, dann wieder treffen sie sich zur gemeinsamen Schwangerschaftsgymnastik, spielen Luftgitarre zur wilden Musik aus der Jugendzeit ihrer Mütter. Die Pantomime-, Akrobatik- oder Gesangseinlagen nicht zu vergessen. Zurück geht es an den Tisch, aber nicht den vorherigen, sondern einen anderen Platz.

Die Distanz zwischen Spielerinnen und Zuschauern ist nicht nur räumlich gesehen gering. Auch die Famliengeschichten, die angerissen werden, zeigen viele Berührungspunkte zum Leben der Zuschauer, wie deren Reaktionen, vor allem die Gespräche in den Pausen zeigen.

Anregungen für Gespräche und Vergleiche mit der eigenen Lebensgeschichte bietet das Stück auch deshalb, weil neben den Schauspielerinnen deren Mütter und Kinder mitwirken. Akustisch, denn kurze Sequenzen aus Interviews, die die FreiFrauen mit ihnen geführt haben, werden immer wieder eingespielt. Nicht aus dem Off, sondern von Tonbändern, die die Schauspielerinnen selbst abspulen. Auf fünf Tischen im Café verteilt  stehen die Geräte. Dass jedes Mal, egal welche Akteurin an welchem Gerät auf die Wiedergabetaste drückt, genau die zu ihr und ihrer Geschichte passende Interviewpassage abspult, ist angesichts der vielen Platz- und turbulenten Szenenwechsel immer wieder überraschend.

Am Ende gibt es für die Aufführung, die von lautem Lachen über Heiterkeit bis zur Melancholie oder Betroffenheit viele Gefühle anspricht, kräftigen Applaus. Etwas mehr Zuschauer hätte der Abend verdient.

Wer Lust bekommen hat, das Stück zu sehen: „Mutterhabensein“ wird beim Fringe-Festival der Ruhrfestspiele Ende des Monats aufgeführt.

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Recklinghäuser Zeitung,  Ruhrfestspiele 2018
von Mareike Graepel

Und genau da erwischen die fünf „FreiFrau“-Frauen die Mütter an diesem Fringe-Abend der Ruhrfestspiele an der empfindlichsten Stelle: Die Geschichte der Beziehungen zwischen Müttern, Großmüttern, Kindern beschäftigt uns alle, aber ehrlich darüber sprechen, das fällt oft schwer.
Umso bewundernswerter die schonungslose Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte in „Mutterhabensein“. Eine Mutter haben, eine Mutter sein – was ist leichter? Was ist schwieriger? Was nervt, was macht glücklich? Wechselt sich das ab? Wie war das im Osten? Was soll man mal werden? War jemand in der Familie ein Nazi, und sieht man mit einer Kurzhaarfrisur aus wie ein Junge? Die Mütter der Mütter als Kontrollorgan, als Unterstützer, als ignorierende Macht – ahnen Mütter etwa nicht, dass ihr Urteil immer ein größeres Gewicht haben wird als jedes andere, auch wenn es vielleicht ignoriert wird?… Es wird laut gelacht im Drübbelken, bei Heavy-Metal-Headbanging-Szenen, Beatles-Beats und der wahrhaftigsten Geburtsvorbereitung aller Zeiten, inklusive Wehen-Singen: „Genau! Genau so war das!“ nicken die Frauen im Publikum. Aber es gibt auch Tränen, denn jede hier stellt die eigene Tochter-/ Mutter-Position auf den Prüfstand…Ganz kitschfrei und ohne sentimentalen Touch. Die fünf Schauspielerinnen geben unendlich viel von sich preis – sind unfassbar gut in ihren Rollen, wechseln Positionen, spielen mit vollem Körpereinsatz…Herrlich! Die Babybauch-Gymnastik-Szenen: Zum Schreien komisch! Die Alpträume der Mutter nach einer Fehlgeburt: Grausam echt…Nach tosendem Applaus, der nur endete, um mit den anderen Zuschauern und den Schauspielerinnen von „FreiFrau“ ins Gespräch kommen zu können, bleibt nur noch eins zu sagen: Danke!

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